DFG-Schwerpunktprogramm 2361
„Auf dem Weg zur fluvialen Anthroposphäre“
Die Umgestaltung flussnaher Gebiete durch den Menschen seit dem Mittelalter steht im Mittelpunkt der Untersuchungen. Dabei interessieren nicht nur die Bändigung der Naturgewalten, sondern auch die Nutzung und Verschmutzung der Auenökosysteme. Ein spannendes, komplexes Thema, das geoarchäologischer nicht sein kann.
Für die Studierenden im Master Geoarchäologie bietet sich hier die Möglichkeit, die forschungsorientierte Lehre in einem laufenden Projekt „live“ zu erleben.
Das Schwerpunktprogramm 2361
Im Schwerpunktprogramm kommen verschiedene Arbeitsgruppen zusammen, die an verschiedenen Standorten mit unterschiedlichen Ausgangssituationen zur Frage der Entwicklung hin zu einer „fluvialen Anthroposphäre“ forschen. Eine Übersicht über die Projekte und Aktivitäten bietet die Homepage an der Universität Leipzig.
Der Standort Heidelberg ist mit dem Teilprojekt „Die Flusslandschaft der Weschnitz und ihre Wechselwirkung mit dem Kloster Lorsch“ gemeinsam mit Beteiligten der Hessenarchäologie sowie der Universitäten Darmstadt und Mainz in das Schwerpunktprogramm eingebunden.
Mittelalterliches Leben am Fluss
Schon im Mittelalter fanden die Menschen keine „unberührte Natur“ mehr vor. Spätenstens mit dem Bau von Wehren für den Betrieb von Mühlen wurde das Abflussverhalten der Gewässer verändert - und damit auch der Lebensraum der Fische und die Funktion als Binnenwasserstraße. Wasser wurde auch bei der Aufbereitung von Erz benötigt und es diente als Energiequelle für Erzschmelzen und Hammerwerke. Verschiedeneste Arten von Mühlen nutzten ebenfalls das Wasser - wie die Sägemühlen. Papiermühlen, Walkmühlen und die Kornmühlen. Das Aufkommen städtischer Gewerbe führte auch schon im Mittelalter zu einer spürbaren Verschmutzung der Gewässer, wie urkundlich belegt ist. Geschädigte waren neben der Natur wenigstens die Fischer und die Viehhalter.
mittelalterliche Umweltverschmutzung - ein neues Forschungsfeld!
Quellen der Verschmutzung waren vornehmlich die Gerbereien, die alkalische und saure Lösungen in die Gewässer einleiteten, mit entsorgt wurden auch verwesende Fleisch- und Hautreste. Mit zu den Verschmutzern gehörten die Papiermühlen und die Walkmühlen sowie Färbereien. Neben der Geruchsbelastung wurden so in früheren Zeiten auch Seuchen verbreitet und toxische Stoffe in die Umwelt gebracht - wenn auch in weitaus geringerem Maße als im Industriezeitalter.
Schon früh wurden daher in der Stadtplanung separate „Gewerbegebiete“ ausgewiesen, die meist außerhalb der Stadtmauer angelegt wurden. Solche Gerberviertel gab es in zahllosen Städten, in Süddeutschland sind neben Weinheim an der Bergstraße auch Nördlingen, Reutlingen, Villingen oder Waiblingen zu nennen. Gerberkanäle versorgten die Betriebe mit Wasserkraft und transportieren die Gewerbeabwässer aus den Städten.
Interdisziplinäres Forschen
Der Weg zu einer Rekonstruktion der mittelalterlichen fluvialen Anthroposphäre bedarf der Einbeziehung vieler Perspektiven - und damit ganz unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Dies gilt z.B. für räumliche Konflikte der Wassernutzung und des Hochwasserschutzes, welche Geschichtswissenschaft und Geoarchäologie gemeinsam beleuchten. Auch archäologische Fragestellungen werden z.B. durch die geophysikalische Prospektion unterstützt, um Überreste historischer Bauten in den Auen zu finden.
Wenn es um Laufveränderungen der Gewässer und wasserbauliche Eingriffe geht sind sowohl Schriftquellen, die Fernerkundung als auch Wissen über frühere Prozessabläufe unverzichtbar, um geeignete Stellen für eine Probennahme zu identifizieren, die mit Hilfe der Altersdatierung eine Verknüpfung der vorliegenden Informationen ermöglicht und beispielweise Flutereignisse mit dem Witterungsgeschehen der Vergangenheit in Zusammenhang zu bringen. Dies können nur die Geschichtswissenschaft, die Archäologie und die Geomorphologie gemeinsam leisten - im Rahmen eines geoarchäologischen Forschungsvorhabens!
Das Team
Die Gestaltung der fluvialen Anthroposphäre wurde maßgeblich von den lokalen Autoritäten beeinflusst, von denen das Kloster Lorsch am bekantesten ist. Hier forscht die Hessenarchäologie federführend, hilfreich ist dazu die gute Quellenlage, z.B. den erhaltenen Codex Laureshamensis. In den Phasen der weltlichen Herrschaft wurden Konflikte und deren Lösungen in den Archiven der Kommunen verwahrt, welche die Mittelalterliche Geschichte der TU Darmstadt sammelt und auswertet. Die fluviale Dynamik, Spuren früherer Naturkatastrophen sowie die Frage des verschwundenen „Lorscher Sees“ wird von der Geomorphologie der Universitäten Heidelberg und Mainz durch die Analyse von Umweltarchiven rekonstruiert. Die mittelalterliche Umweltverschmutzung steht im Focus der Geoarchäologie.
Zu allen Erkenntnissen tauschen sich die Forschenden ständig aus, um die eigenen Kompetenzen gegebenenfalls zu einerm Fragenkomplex mit einbringen zu können. Am Ende des Projektes wird eine Synthese des diachronen Prozessgeschehens im Bereich der Weschnitz stehen, nachdem Lücken geschlossen und Mehrdeutigkeiten der disziplinären Archive und Quellen geklärt wurden.
Und der Mehrwert für die Studierenden?
Seit Projektbeginn im April 2023 waren die Studienrenden der Geoarchäologie schon in mehreren Lehrveranstaltungen im Rahmen des Forschungsprojektes eingebunden. So wurde im Rahmen einer archäologischen Lehrgrabung der Standort eines älteren Klosters untersucht, ein Geländepraktikum der Geoarchäologie und Geographie untersuchte einen mutmaßlichen mittelalterlichen Schmelzplatz. Weitere Feldpraktika werden folgen, eine Bachelorarbeit zum Schmelzplatz ist in Bearbeitung.